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- Entlastung der Mutter: Piloten wird trotz unflexibler Freizeitregelung durch Arbeitgeber vermehrter Kindesumgang zugemutet
Während in Umgangsverfahren meist der eine Elternteil weniger Umgang der Kinder mit dem anderen verlangt, verklagte vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) eine Mutter den Vater des gemeinsamen Kindes darauf, dass er sich mehr um seine Kinder kümmern solle. Das OLG musste nun sehen, ob und wie ein umfangreicherer Umgang im Interesse aller - vor allem aber naturgemäß dem der Kinder - möglich ist. Das Amtsgericht Fürth (AG) legte dabei vor.
Der Vater war Pilot mit einer Vollzeitstelle, die Mutter Flugbegleiterin mit einer 2/3-Stelle. Wegen der flexiblen Arbeitszeiten beider wurde im notariellen Scheidungsfolgenvertrag nur vermerkt, dass der Vater "nach Absprache" 1/3 der Betreuungszeiten übernehmen solle. Beide Elternhäuser waren in Fürth, die Kinder konnten vom Vater aus sogar morgens zur Schule gehen. Für die Mutter zeigte sich die Flexibilität jedoch zunehmend als unpraktikabel, da die Absprachen nicht mehr funktionieren würden - sie beantragte daher sechs Jahre später beim Familiengericht, dass die Kinder 14-tägig im Zeitraum von Donnerstag nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn und zudem an zwei Tagen nach flexibler Absprache beim Vater sein sollen. Der Vater argumentierte damit, dass er im Gegensatz zur teilzeitarbeitenden Mutter in Vollzeit arbeite. Deshalb sei es ihr zuzumuten, dass sie sich voll und ganz nach seinen Bedürfnissen richte, die keine feste Regelung zuließen. Er könne lediglich einmal im Monat drei zusammenhängende Tage freinehmen. Mehr - zweimal im Monat fünf Tage am Stück - habe der Arbeitgeber abgelehnt. Eine Fremdbetreuung der Kinder während der Umgangszeiten sei in den Augen des Vaters widersinnig.
Das AG hatte den Umgang mit dem Vater daraufhin derart geregelt, dass dieser 14-tägig donnerstags nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn stattfindet. In der anschließenden Anhörung vor dem OLG erzählten die Kinder, dass die Umgangswochenenden seit dem amtsgerichtlichen Beschluss auch so durchgeführt worden seien. Zwar sei ihr Vater dann nicht immer durchgehend zu Hause, dies sei jedoch unproblematisch. Sie hätten ein gutes Verhältnis zur Stiefmutter und zu deren Tochter.
Daher bestätigte das OLG die Entscheidung des AG und stellte darauf ab, dass Umgangskontakte nicht nur die Funktion haben, die Vater-Kind-Bindung zu fördern, sondern auch, die berufstätige Mutter zu entlasten und die tatsächliche Betreuung der Kinder in einem zu bestimmenden Umfang aufzuteilen. Auch die Mutter müsse ja gelegentlich Fremdbetreuung in Anspruch nehmen und diese organisieren. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Kinder sich im väterlichen Haushalt auch dann wohlfühlten, wenn dieser gar nicht zuhause war.
Hinweis: Wenn ein Gericht den Umgang regelt, muss der Beschluss auch vollstreckbar sein. Deshalb kann es flexible Lösungen nur geben, wenn die Eltern sich darüber einig sind.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.01.2024 - 9 UF 744/23(aus: Ausgabe 03/2024)
- Lebenslanger Unterhalt: 14-jährige Ehedauer erzeugt auch im Alter nacheheliche Verantwortung
Eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens ist die begründete Mitverantwortung, die der leistungsfähige Ehepartner gegenüber dem Unterhaltsbedürftigen trägt. Dieser Mitverantwortung kann man sich im Sinne der nachehelichen Solidarität nicht entziehen. Daher erging es der bessergestellten Frau im folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) nicht anders als vielen Männern zuvor.
Als die Eheleute 2007 heirateten, waren beide schon über 50 Jahre alt. Sie war Beamtin, er selbständig und ab 2013 insolvent, so dass die Frau bei der Scheidung 2023 durch den Versorgungsausgleich einen Teil ihrer Pension an den Mann verlor. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Eheleute schon in Pension bzw. in Rente. Nun begehrte der Mann zusätzlich einen lebenslangen Unterhalt von rund 1.300 EUR monatlich. Das Familiengericht Olpe lehnte diesen Antrag ab: Der Mann habe bereits durch den Versorgungsausgleich alle ehebedingten Nachteile ersetzt bekommen.
Anders sah dies das OLG - es sprach dem Mann den sogenannten Altersunterhalt nach § 1571 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der beantragten Höhe zu. Mit Erreichen des Rentenalters müsse er nicht mehr arbeiten, auch wenn das bei Selbständigen oft üblich sei. Auf seine konkrete gesundheitliche Situation, die streitig war, kam es daher nicht an. Auch eine Antwort auf die Frage, ob ehebedingte Nachteile entstanden seien, sei hier unwichtig, da der Altersunterhalt davon unabhängig sei. Zudem sei dem Mann auch nicht vorwerfbar, dass er keine eigene Altersvorsorge betrieben habe. Dieses Verhalten habe der Mann bereits vor der Ehe an den Tag gelegt - dieser Umstand war der Frau nach Aktenlage auch bekannt. Jedenfalls wurde von ihr nicht vorgetragen, dass der Mann ihr vorgegaukelt habe, eine Altersversorgung zu besitzen.
Eine Frage, die durchaus noch von Interesse war, bezog sich auf das Alter der beiden bei Eheschließung: War der § 1571 BGB womöglich deshalb nicht anwendbar, weil der Mann nicht im Laufe der Ehe alt geworden war, sondern erst mit über 50 geheiratet hatte? Nein - so das OLG -, auch das sei unerheblich und käme ebenso wenig infrage wie eine Befristung. Eine Befristung des Altersunterhalts ist auch ohne ehebedingte Nachteile nicht der gesetzliche Regelfall. Durch die Ehedauer von rund 14 Jahren und die Insolvenz des Mannes sei eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Frau entstanden, die eine nacheheliche Solidarität erzeugt habe. In seinem jetzigen Alter sei ihm eine Absenkung des gewohnten gehobenen Lebensstandards nicht zuzumuten, daher wurde der Anspruch auch nicht in der Höhe begrenzt.
Hinweis: Allerdings wendete das OLG die Regel an, dass mit Erreichen des Rentenalters auch vorhandenes Kapital zu verzehren ist - das waren hier 65.000 EUR aus einem Hausverkauf. Unstreitig war das Haus nämlich als "Altersvorsorge" gedacht gewesen.
Quelle: OLG Hamm. Beschl. v. 21.12.2023 - 4 UF 36/23(aus: Ausgabe 03/2024)
- Mehr als 1.600 EUR: Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen
Die Frage nach Angemessenheit und Notwendigkeit stellt sich vor Gericht besonders oft, wenn es um Unterhaltsforderungen geht. Aus diesem Grund gibt es die Düsseldorfer Tabelle (DT), die seit 1962 als Leitlinie bei Unterhaltsfragen gilt. Seitdem wird sie stetig an die sich verändernden Lebensumstände angepasst, so auch hinsichtlich der Einkommensgruppen. Dieser Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) zu einem sehr solventen, unterhaltspflichtigen Vater landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und wird in einer Frage auch wieder ans OLG zurückgehen.
Die Mutter einer 2011 geborenen Tochter aus geschiedener Ehe hatte im Jahr 2019 einen monatlichen Kindesunterhalt von 4.500 EUR beantragt. Ihr Bedarf sei exklusiv: Die hohen Wohnkosten, der Reitsport des Kindes, Kleidung und Urlaube - all das hielt sie für angemessen. Der Vater hatte sich zudem als "unbegrenzt leistungsfähig" erklärt, sein offensichtlich über 11.000 EUR liegendes Nettoeinkommen wurde dabei aber nicht näher thematisiert. 2018 hatte der Vater den damaligen Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle von 160 % des Mindestunterhalts anerkannt. 2020 hatte der BGH dann in einem anderen Fall entschieden, dass man die Tabelle rechnerisch nach oben ergänzen könne, wenn der Unterhaltspflichtige über mehr als 5.500 EUR bereinigtes Nettoeinkommen verfüge. Daraufhin erkannte der Vater 2021 im Verfahren 272 % des Mindestunterhalts an - einen Betrag, den es in der DT 2021 zwar nicht gab, den man sich aber durch Fortschreibung selbst errechnen konnte. 2022 war die DT schließlich um Einkommensgruppen bis 11.000 EUR erweitert worden, was 200 % des Mindestunterhalts entsprach. Daraufhin nahm der Vater sein Anerkenntnis zurück und wollte "nur noch" den neuen "Höchstsatz" von 200 % zahlen. Die Reitsportkosten wolle er sowieso nicht mittragen, da die Mutter allein über das teure, gefährliche und zeitraubende Hobby entschieden habe, obwohl er gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht innehabe.
Das OLG hatte den Einwand des Vaters für zutreffend gehalten, dass er als Sorgeberechtigter hätte mitentscheiden müssen, ob das Kind ein gefährliches und teures Hobby betreiben dürfe. Deshalb legte das OLG ihm die Reitsportkosten nicht zusätzlich auf. Anders sah dies jedoch der BGH: Zwar könne man es so sehen, dass Entscheidungen wie ein teures Hobby bei gemeinsamem Sorgerecht gemeinsam getroffen werden müssen. Jedoch habe der Vater sich in seinen Schriftsätzen gar nicht gegen das Reiten als solches, sondern nur gegen die Intensität und die Kosten ausgesprochen. Das sei als stillschweigendes Zustimmen "dem Grunde nach" zu werten. Außerdem könne es sein, dass das Kind vom Reitsport so stark profitiere, dass die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich sei. Im Ergebnis befand der BGH, dass die Kleidung, Wohnen und Urlaube mit den 272 % vom Mindestunterhalt bezahlt werden können, und gab das Verfahren zwecks Aufklärung beim Mehrbedarf "Reitsport" zurück ans OLG.
Hinweis: 272 % des Mindestunterhalts für ein 2011 geborenes Kind betragen im Jahr 2024 monatlich 1.629,40 EUR.
Quelle: BGH, Beschl. v. 20.09.2023 - XII ZB 177/22(aus: Ausgabe 03/2024)
- Unwissenheit schützt nicht: Unterhaltsschulden können lange vollstreckt werden
Wer nicht rechtzeitig etwas sagt, der kriegt auch nichts! So zusammengefasst verhält es sich oftmals, wenn Ansprüche verjährt sind. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Bremen (OLG) klären, ob es bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen einen für eine solche Verwirkung erforderlichen Zeitmoment gibt. Sprich: Erledigen sich Ansprüche aus einem derartigen Titel, wenn der Gläubiger sie nicht einfordert - und wenn ja, ab wann?
Ein Vater war vom Familiengericht zu Kindesunterhalt für seinen minderjährigen Sohn verurteilt worden, zahlte aber nicht. Die Unterhaltsvorschusskasse (Jugendamt) ging daher in Vorleistung und holte sich das Geld beim Vater zurück. Doch zwischem dem, was die Unterhaltsvorschusskasse zahlte, und dem, was der Vater hätte zahlen müssen, klaffte eine monatliche Lücke - und summierte sich schließlich zu einem Schuldenberg von über 3.000 EUR. Dann wurde der Sohn volljährig und vollstreckte gegen seinen Vater.
Vor dem OLG ging es nun um die Frage, ob der Anspruch verwirkt worden war, da jahrelang niemand die Differenz explizit eingefordert hatte. Ein solcher Verwirkungseinwand setzt voraus, dass mindestens mehr als ein Jahr nichts verlangt wurde (Zeitmoment) und dass der Unterhaltsschuldner sich darauf einrichten durfte, dass der Unterhaltsgläubiger sein Recht nicht mehr durchsetzen werde (Umstandsmoment). Aus bloßer Untätigkeit des Gläubigers entstehen solche besonderen Umstände jedenfalls nicht. Der Vater trug dazu vor, er habe nach Einschaltung der Unterhaltsvorschusskasse geglaubt, er müsse nur den geringen Betrag an die Kasse zahlen, nicht mehr den höheren an den Sohn. Das mag er wirklich geglaubt haben - aber Unkenntnis schützt bekanntlich nicht vor Rechtsfolgen. Solange ein Titel "in der Welt" ist, gilt dieser, und eigene Gedanken dazu, ob dieser überhaupt noch gelten möge, sind fehl am Platz. Andere Umstände, aus denen er hätte schließen können, sein Sohn bzw. dessen Mutter verzichte auf die Differenz, gab es für das OLG in nachvollziehbarer Weise nicht.
Hinweis: Die Differenz zwischen tituliertem Unterhalt und der Leistung der Unterhaltsvorschusskasse liegt daran, dass die Unterhaltsvorschusskasse nur den Mindestunterhalt leistet und davon noch das gesamte Kindergeld abzieht.
Quelle: OLG Bremen, Beschl. v. 14.12.2023 - 5 UF 36/23(aus: Ausgabe 03/2024)
- Volljährige Tochter: Kein Unterhalt, wenn zweite Ausbildung Resultat einer beruflichen Umorientierung ist
Eltern schulden ihren volljährigen Kindern Unterhalt während einer Ausbildung. Zu Konflikten kommt es, wenn das Kind mit seinem ersten Abschluss nicht zufrieden ist und für eine weitere Ausbildung weiterhin Unterhalt verlangt. Im Fall vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) war daher zu prüfen, ob es sich um eine einheitliche Ausbildung handelt, für deren letztlich angestrebte Qualifikation der erste Abschluss ein sinnvoller Zwischenschritt war, oder um zwei voneinander unabhängige Ausbildungen.
Hier hatte die Tochter nach dem Realschulabschluss 2018 eine kaufmännische Ausbildung absolviert, mit deren Abschluss sie automatisch ihr Fachabitur im Bereich Wirtschaft erlangte. Im Anschluss verbrachte sie zur Erweiterung ihrer Sprachkenntnisse einen dreimonatigen Sprachurlaub in Spanien. Nach ihrer Rückkehr meldete sie sich im Oktober 2021 zunächst arbeitssuchend, woraufhin sie über das Jobcenter den Hinweis auf die Möglichkeit erhielt, mit ihrem Abschluss Mediendesign zu studieren. Zum 01.01.2022 begann sie dieses Studium. Da ihre Mutter zu wenig verdiente, um ihr Unterhalt zu leisten, verklagte sie ihren Vater.
Das begonnene Studium ist auch in den Augen des OLG eine Zweitausbildung und keine fachliche Ergänzung. Daher bestand kein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gegenüber ihren Eltern. Im Unterschied zu Abiturienten, bei denen Eltern immer mit einem Studienwunsch nach der Lehre rechnen müssen, sei dies nach dem Realschulabschluss so, dass die Eltern frühzeitig - schon vor der Ausbildung - vorgewarnt werden müssten, dass sie sich auf einen längeren Ausbildungsweg einstellen müssen. Zudem müsse ihnen dieser auch wirtschaftlich zumutbar sein. Dabei habe das Kind keine beliebige Studienauswahl, sondern müsse einen engen sachlichen Zusammenhang darlegen. Hier reiche es nicht aus, dass das kaufmännische Wissen und die Fremdsprachenkompetenz "nützlich" für das Studium oder den späteren Beruf als Mediendesignerin seien. Solche Kenntnisse seien grundsätzlich für jeden Beruf nützlich, was eine solche Ausbildung aber nicht zu einem unterhaltsrechtlichen Freibrief für jedwedes anschließende Studium mache. Auf die Gerichte wirkte der Ausbildungsweg der Tochter eher so, als ob sie sich nach der Arbeitslosigkeit und Beratung durch das Jobcenter umorientiert habe - diese durchaus legitime Entscheidung beinhalte jedoch kein Recht auf weiteren Unterhalt.
Hinweis: Für die Entscheidung wird bei der Abwägung eine Rolle gespielt haben, dass die Studentin Bafög bekam und der Unterhaltsanspruch daher nicht existentiell von Bedeutung war, während der Vater mit knapp 2.500 EUR netto kein wohlhabender Mann war. Der Tochter wäre anzuraten gewesen, ihr Vorhaben direkt nach dem Schulabschluss nachweislich mit dem Vater abzusprechen, damit dieser in der Zeit, in der er ihr wegen des Ausbildungsentgelts keinen Unterhalt zahlen musste, Rücklagen hätte bilden können.
Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.12.2023 - 3 UF 127/23(aus: Ausgabe 03/2024)